Als Mitglieder des Vereins haben wir in der Regel einen besonderen Blick für Notlagen auf der Straße. Meistens sind es unangenehme und schwierige Situationen. Gelegentlich gibt es aber auch etwas zum Schmunzeln, so wie „die Sache mit Gott“.

Ich war sicher, dass ich ihm schon einige Tage zuvor in meiner Mittagspause in unserer Innenstadt begegnet war. Schon da war er mir durch sein Äußeres aufgefallen. Seine mittelgroße, fast schon ein wenig hager anmutende Gestalt, seine langen weiß-grauen Haare und der lange graue Bart. Hinzu kam, dass er die Mülleimer entlang der Fußgängerzone nach Verwertbarem durchsuchte. Der scheint neu in der Innenstadt zu sein, dachte ich noch.

Heute hatte sich der Neue auf einer der Bänke am Rande der Geschäfte niedergelassen. Es war ein kalter Wintertag, der eigentlich viel zu eisig war für den schmutzigen, dünnen, dunkelblauen Pullover, den er trug. Ich sah, dass er gelegentlich einen Schluck aus einer Bierflasche nahm, die er anschließend wieder in einer Plastiktüte verschwinden ließ. Und er schien Schmerzen zu haben, denn er hatte einen seiner Schuhe ausgezogen und massierte sich den Fuß.

Ich hatte gerade wieder Mittagspause und bummelte über die Fußgängerzone. Als ich ihn dort auf dieser Bank sitzen sah, schien mir das eine gute Gelegenheit für eine erste Kontaktaufnahme zu sein. Ich kam langsam zu ihm hin und fragte, ob ich mich setzen dürfe. Sofort deutet er freundlich auf den Platz neben sich und rückte etwas auf.

Nach einer Weile kamen wir ins Gespräch und ich konnte mir den Neuen aus nächster Nähe betrachten. Sofort wusste ich, warum mir sein Äußeres so aufgefallen war. Genau so hatte ich mir nämlich immer Gott vorgestellt. Ein älterer Mann mit einem sonnengegerbten, schmalen Gesicht, mit buschigen grauen Brauen unter denen lebhafte hellblaue Augen hervorblitzen, mit einem üppigen hellgrauen Bart und langen, weit über die Schultern hinaus fallenden, weiß-grauen Haaren.

Das Aussehen dieses Mannes hatte mich derartig beeindruckt, dass ich einigen Leuten von der außergewöhnlichen Erscheinung dieses Obdachlosen erzählte. Wenige Tage später, ich war völlig in meine Arbeit vertieft, stand plötzlich ein Arbeitskollege in meinem Büro und sagte: „Ich habe Gott gesehen!“ Aus meiner Konzentration herausgerissen, fühlte ich mich von diesem Bekenntnis der Wiederkehr des Allmächtigen völlig überfahren.

Ich muss den Kollegen ziemlich entgeistert angesehen haben, denn nach einer kurzen Pause fügte er trocken hinzu: „… beim Discounter!“

 

 

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